
Berlin – Die Debatte um die „Stadtbild“-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (69) ist um eine Perspektive reicher.
Die Soziologin Christine Barwick-Groß sieht nicht steigende Kriminalität oder ungeregelte Migration als Ursache für ein zunehmendes Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum – sondern ausgerechnet unsere Polizei. Das sagte sie in einem Interview mit der „taz“.
Barwick-Groß, die an der Berliner Humboldt-Universität zu „urbaner Diversität“ forscht, erklärte auf die Frage nach den größten Problemen im Stadtbild: „Vielleicht zu viel Polizei, zu viele Kontrollinstanzen, extreme Armut, extremer Reichtum und zu viel Rechtsextremismus.“
Merz-Aussage sei „eindeutig rassistisch“
Die Aussage von Friedrich Merz hält sie zudem für „eindeutig rassistisch“. Begründung der Soziologin: „Merz stellt Personen, die als nicht-weiß oder migrantisch gelesen werden, als kriminell dar – deshalb verknüpft er das mit Rückführungen.“
Merz hatte vor einer Woche bei einer Pressekonferenz auf seine Strategie gegen die AfD verwiesen – und dabei die Migrationspolitik betont. Man sei „sehr weit“, sagte er, „aber wir haben natürlich immer noch im Stadtbild dieses Problem“. Deshalb ermögliche der Bundesinnenminister nun „in großem Umfang Rückführungen“.
Polizeikontrollen in Neukölln diskriminierend?
Barwick-Groß geht in ihrer Polizei-Schelte noch weiter und kritisiert Routine-Kontrollen als diskriminierend – etwa auf der berüchtigten Sonnenallee in Berlin-Neukölln. „Die wird viel mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Deshalb gibt es dort auch viel Polizeipräsenz und Kontrollen, auch vom Ordnungsamt. Diese Kontrollen basieren im Prinzip oft auf einem Verdacht aufgrund des Aussehens und aufgrund des Ortes, an dem man sich aufhält.“
Das eigentliche Problem in Städten sei nicht Migration, sondern soziale Ungerechtigkeit: „Es geht um fehlende Wohnungen, um Bildungschancen, um Infrastruktur und um den Zugang zu Ressourcen in der Stadt.“
Mehrheit gibt Merz recht
Auch die Aussage von Merz, man müsse bei dem Thema „nur mal die Töchter fragen“, bezeichnet Barwick-Groß als „rassistisches Stereotyp“. Ihr Argument: „Es gibt natürlich ein großes Problem mit Gewalt gegen Frauen, aber das passiert vor allem in den eigenen vier Wänden – und das hat wenig mit Migration zu tun.“
Eine relative Mehrheit der Deutschen sieht das anders: Laut einer aktuellen BILD-Umfrage finden 43 Prozent der Deutschen, das aktuell zur Diskussion stehende „Stadtbild“ habe sich seit 2015 zum Schlechteren verändert, 32 Prozent nehmen keine Veränderung wahr. Und: Nur 14 Prozent der Befragten fühlen sich sicherer als vor zehn Jahren, 39 Prozent unsicherer – ein deutlicher Trend.